Die Wenzhouer in Prato

Das toskanische Prato, ein traditionsreiches europäisches Zentrum der Textilindustrie, ist heute weitgehend in chinesischer Hand. In der 180.000 Einwohner-Stadt gibt es 40.000 chinesische Geschäftsleute und Arbeiter und über 3.000 von Chinesen betriebene Unternehmen. Ein Großteil von ihnen kommt aus Wenzhou, einer Küstenstadt in der Provinz Zhejiang, deren Bewohner sich seit jeher durch ihr Unternehmertum und ihre Migrationsfreudigkeit auszeichnen.

Auch den Machern der 2012 in China erschienenen Fernsehserie „Legend of Entrepreneurship“ (Originaltitel „Eine Familie aus Wenzhou“) ist die Rolle der Wenzhouer im Ausland aufgefallen, insbesondere derer in Prato, deren Schicksale den Stoff dieser bilden.

Ein japanischer Dokumentationsfilm mit dem ironischen Titel „Italienische Marken Made in China“ befasst sich ebenfalls mit den Geschäften der Wenzhouer und ihrem Schicksal in Prato, wie ein Artikel vom 21.12.2012 in „Southern Weekend“ (Nanfang Zhoumo) ausführlich nachzeichnet.

Das Thema der Doku war: „Wem gehört Made in Italy?“ Sie berichtet, dass der jährliche Verkauf von Bekleidung der chinesischen Unternehmen in Europa 8 Milliarden RMB übersteigt.

Berichtet wird weiter vom Self-Made-Mann und Vorsitzenden der Vereinigung der Wenzhouer Geschäftsleute in Prato, Wang Zengli, dessen florierendes Unternehmen für Freizeitmode den Sprung weg vom Billig-Image hin zum wirklichen „Made in Italy“ versucht. Die Treffen der Wenzhouer Geschäftsleute unter Wangs Vorsitz fungieren auch als die einer Kreditgemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen. Wang ist selbst vor 20 Jahren nach Italien gekommen und hat sich später zur Finanzierung seines Unternehmens Geld bei seinen Landsleuten geliehen.

Der Artikel beschreibt weiter die problematische Integration der Chinesen in Prato. So würden die Italiener ihnen vorwerfen, mit ihrem Fleiß den Einheimischen das Geschäft wegzunehmen und Italien zu verändern. Außerdem würden die chinesischen Immigranten Italien nicht als ihre Heimat akzeptieren. Sie seien nur auf Profit aus und würden wieder gehen, sobald sie das große Geld verdient hätten. Auf der anderen Seite werfen die Chinesen den Italienern abweisende Kälte vor.

Die in den letzten drei Jahren von 4 auf nahezu 10% gestiegene Arbeitslosenrate in Prato und der mit ihr einhergehende Vorwurf, daran seien die Ausländer schuld, ist nicht dazu angelegt, diese Integrationsschwierigkeiten zu mildern. Vonseiten der alteingessenen Unternehmen wurden Stimmen laut, man solle den Chinesen die Nutzung der Bezeichnung „Made in Italy“ erschweren, da sie keine gleichbleibende Qualität liefern würden.
Dazu wurde Wang Zengli zu einem Hearing der Stadt Prato geladen. Das Hearing führte dazu, dass chinesische Unternehmen geschlossen werden sollten, wenn sie illegal betrieben würden. Nun wurden Polizei, Gesundheitsamt und Steuerbehörde der Stadt aktiv.

Im Zuge der groß angelegten Razzia mit Helikoptereinsatz in Pratos 40.000 Einwohner umfassenden Chinatown sollen nicht nur Kleiderfabriken geschlossen worden sein, bei denen Arbeiter ohne Arbeitserlaubnis beschäftigt waren und bei denen zu niedrige Löhne gezahlt wurden, sondern auch ein Restaurant aus dem einzigen Grund, weil der Chef kein Italienisch sprach.

Ein Beobachter der Szene stellt fest, dass die erste Generation der Geschäftsleute aus Wenzhou sich bereits zurückgezogen habe, während die zweite großen Wert auf die Ausbildung ihrer Kinder lege und auch schon viele private Schulen gegründet habe.
Während Unternehmertum beide Generationen von Wenzhouern auszeichnen würde, besitze die zweite einen zusätzlichen Elan – sie hat ein stärkeres Rechts- und Staatsbürgerbewusstsein.